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  • Johann Strauss (Vater) bringt die Polka nach Wien

    „Begierig ist die tanzende Welt, ob vielleicht im kommenden Fasching dieser Tanz hier Mode wird“

    Johann Strauss (Vater) bringt die Polka nach Wien

    Die Polka wurde der Legende nach 1830 in Elbeteinitz (Týnec nad Labem) oder Elbekosteletz (Kostelec nad Labem) vom Dienstmädchen Anna Slezák erfunden und vom Schullehrer Joseph Neruda, nach anderen Quellen von František Matěj Hilmar, aufgezeichnet. 1834 gelangte der Tanz nach Prag und wurde vom Kapellmeister des dortigen Scharfschützenkorps, Peter Pergler, instrumentiert. Dort erst erhielt er die Bezeichnung „Polka“, die sich vom tschechischen Wort „půlka“ („Hälfte“, im Zusammenhang mit dem Tanz „Halbschritt“), ableitet.

    Zur nächsten Etappe bei der Verbreitung dieses Tanzes heißt es im Biographischen Lexikon des Kaiserthums Oesterreich lakonisch: „Im Jahre 1839 kam die Polka nach Wien“. Verschwiegen wird, dass es kein Geringerer als Johann Strauss (Vater) war, dem dies zu verdanken ist. Dieser plante für den 29. Juli 1839, den zweiten Tag des traditionellen Brigitten-Kirchweihfests, ein außerordentliches Fest mit Ball in den Räumen des „Sperl“ unter dem Titel „Rübezahl’s Zauber-Gefilde im Festschmucke“; für die Bespielung des Fortuna-Saals hatte er Pergler und dessen Kapelle engagiert.

    Allein das Wetter spielte nicht mit, sodass das Fest um eine Woche auf den 5. August verschoben werden musste. Trotz erneut ungünstiger Witterung wurde die Veranstaltung diesmal durchgezogen; jedoch, wie in der Zeitung Der Wanderer nachzulesen ist, „ein mächtiger Sturm, der schon Vormittags wüthete, zerstörte den ganzen Sinn der Illumination, und auch der Regen mußte seine begierige Nase dabei haben, um in den festgeschmückten Zaubergefilden einen kleinen Teich anzulegen.“ Dieses Malheur bewog Strauss und den „Sperl“-Eigentümer Johann Georg Scherzer, die Veranstaltung abermals eine Woche später, am 12. August, zu wiederholen. Ein Korrespondent des Prager Periodikums Ost und West berichtet:

    „Ich ging mit Freund D. dahin, und hatte das Vergnügen, Landsmänner und Fremde voll Interesse da zu finden, das Prager Scharffschützen-Corps nämlich, welches rauschenden Beifall für seine Executionen erhielt. Die Polka, welche sie vortrugen, hat sogar die Gitana aus den Leierkasten verdrängt. Wo man hinhört, wird die Polka gespielt, und begierig ist die tanzende Welt, ob vielleicht im kommenden Fasching dieser Tanz hier Mode wird.“

    Für den weiteren Siegeszug der Polka sorgte der seit 1834 am Prager Ständetheater tätige Ballettmeister Johann Raab, für den Joseph Lanner 1833 die Musik zu der Pantomime Policinellos Entstehung komponiert hatte. Bei seinem zweiten Pariser Gastspiel (1840) führte Raab im Théâtre de l’Ambigu-Comique gemeinsam mit der Tänzerin Mlle Valentine seine Prager Polka mit sensationellem Erfolg auf – die neue Tanzgattung ging nunmehr unter der Bezeichnung Polka française um die Welt. Wien hatte jedoch die Nase vorn – dem untrüglichen Spürsinn von Strauss (Vater) sei Dank!

    Thomas Aigner

    NWJ 13.03.1924, S. 3 f., hier S. 4

    Feuilleton. Böhmische Tänze. Von Heinrich Glücksmann.

    […]

    An einem Sonntagnachmittag, zu Beginn des vierten Dezenniums des vorigen Jahrhunderts tanzte eine in Elbeteinitz bedienstete Magd aus mutwilliger Laune und zur eigenen Unterhaltung im Ortswirtshause einen Tanz, den sie sich selbst ersonnen hatte und mit einer passenden Melodie trällernd begleitete. Den Namen dieses Mädchens hat der Strom der Zeit hinweggeschwemmt: wohl ist aber der Name des Schulmeisters jenes Ortes auf die Zukunft überkommen, eines gewissen Josef Neruda, der, damals zufällig am Tanzboden anwesend, die Melodie niederschrieb und es so ermöglichte, daß kurze Zeit darauf der neue Tanz in Elbeteinitz schon von mehreren Paaren und bald von der ganzen Dorfjugend ausgeführt werden konnte. Im Jahre 1835 fand er in die Ballsäle der böhmischen Hauptstadt Eintritt und wurde dort wegen des in ihm vorherrschenden Halbschrittes nach dem tschechischen Worte pulka (Hälfte) „Polka“ getauft. Einige Jahre später, etwa um 1839, wurde er von einem Teile des Musikchors der Prager Scharfschützen auf einer Kunstreise in Wien produziert, und sowohl der Tanz als auch die Musik erfreuten sich des wärmsten Beifalls und rascher Beliebtheit. Ein Jahr darauf tanzte der Prager ständische Tanzlehrer Raab die böhmische Polka auf der Bühne des Odéon in Paris mit außergewöhnlichem Erfolg, der dem neuen Tanze mit staunenswerter Raschheit die eleganten Salons und Ballsäle von Paris und damit der gesamten Kunstwelt eröffnete.