• Ankündigungen
  • PUBLIKATIONEN
  • Richard Genée
    von Prof. Norbert Rubey

    Genée (Franz Friedrich) Richard, * 7. Februar 1823 Danzig, † 15. Juni 1895 Baden bei Wien, Kapellmeister, Komponist, Librettist, Übersetzer und Bearbeiter.

     

    Abstammung, Ausbildung, Familie

    Franz Friedrich Richard Genée wurde am 7. Februar 1823 in Danzig geboren. Er war der Sohn des Sängers, Schauspielers, Theaterdirektors und Autors von Bühnenwerken Johann Friedrich Genée und dessen Gattin Caroline. Richard hatte drei jüngere Geschwister: Rudolph (Literaturwissenschaftler), Ottilie (Soubrette) und Elisabeth (Private).

    Nach dem Besuch des Gymnasiums „Zum Grauen Kloster“ in Berlin nahm er in derselben Stadt das Studium der Medizin auf. Dieses brach er ab, und der Vater ermöglichte ihm eine gediegene Ausbildung bei Adolph Stahlknecht in Komposition und bei Siegfried Wilhelm Dehn in Musiktheorie.

    Am 15. August 1850 heiratete Richard Genée die aus Königsberg gebürtige Emilie L’Orange. Die Ehe blieb kinderlos. Doch adoptierte das Paar das vierte Kind, Anna Barbara, der zweiten Gattin – Anna, geborene Theen – des Komponisten Friedrich von Flotow. Nach fast vierzigjähriger Ehe starb Genées Gattin Emilie am 31. Jänner 1890 im Alter von 71 Jahren. Richard Genée schloss am 15. Juni 1895 in Baden bei Wien für immer die Augen. Die Beisetzung erfolgte zwei Tage später auf dem Badener Ortsfriedhof.

     

    Kapellmeister

    Zunächst war Richard Genée zweieinhalb Jahrzehnte lang an verschiedenen deutschsprachigen Bühnen als Kapellmeister tätig. Zu den Stationen seiner Karriere zählten u. a. die Theater in Danzig (1843), Reval (heute: Tallinn, 1848), Riga (1849), Köln (1854), Düsseldorf (1855), Mainz (1857), Schwerin (1862), Amsterdam (1863), Prag (1864). Mit Beginn der Saison 1868/69 wurde er vom damaligen Direktor Friedrich Strampfer an das Theater an der Wien engagiert und avancierte dort bald zum ersten Kapellmeister. Diese Position bekleidete er bis 1878. Im selben Jahr gab er die Kapellmeistertätigkeit auf um sich fortan ganz seinem künstlerischen Schaffen widmen zu können.

     

    Komponist

    Zwar beinhaltet das Œuvre von Genée auch mehr als 300 Vokalkompositionen (Lieder, Duette, Terzette und Quartette, Männerchöre etc.), der Schwerpunkt seines musikalischen Schaffens liegt aber eindeutig auf dem Gebiet der Operette und komischen Oper. Über 30 Werke schuf er für diese Genres. Mit guten, jedoch nicht nachhaltigen Erfolgen brachte er bereits während der Jahre als Kapellmeister an den verschiedenen deutschsprachigen Theatern seine ersten Bühnenwerke heraus, etwa „Der Geiger aus Tirol“ (1857), „Der Musikfeind“ (1862), „Die Generalprobe“ (1862), „Rosita“ (1864) oder „Der schwarze Prinz“ (1866). Allein aus einigen Titeln geht schon hervor, dass es sich bei etlichen Werken um Modeprodukte oder Tagesware handelte. In gemeinsamer Kompositionsarbeit mit Friedrich von Flotow entstand die Romantische Oper „Am Runenstein“ (Prag 1868).

     

    Mit seinem Engagement an das Theater an der Wien begann für Genée eine enorm produktive Schaffensperiode. In dieser Zeit entstanden seine erfolgreichsten Bühnenwerke, die Komischen Opern „Der Seekadett“ (1876) und „Nanon, die Wirtin vom goldenen Lamm“ (1877), beide im Theater an der Wien uraufgeführt. Genées Partituren weisen ihn als erfahrenen Theaterpraktiker aus. Viele seiner Ensembleszenen und Finali lassen den gründlich gebildeten und satztechnisch versierten Komponisten erkennen. Diese Fähigkeiten veranlassten den Theaterdirektor Maximilian Steiner Richard Genée die Aufgabe zu übertragen, dem auf dem Gebiet der Bühnenkomposition noch unerfahrenen Johann Strauss (Sohn) zu unterstützen. Genées hoher Kompositionsanteil bei Strauss’ Operetten, beginnend mit „Indigo und die vierzig Räuber“ (1871) bis hin zu „Eine Nacht in Venedig“ (1883), ist in den autographen Originalpartituren nachweisbar. Ohne Genées kompositorische Mithilfe gäbe es Strauss’ Operette „Die Fledermaus“ (1874) nicht.

     

    Librettist, Übersetzer, Bearbeiter

    In den 1870er- und 1880er-Jahren war Genée einer der wichtigsten Übersetzer von französischen und englischen Operettenlibretti. Nicht wenige derselben standen dann Pate für von ihm selbst und oft auch in Zusammenarbeit mit F. Zell (eigentlich Camillo Walzel) oder anderen Literaten verfassten Textbüchern. Mit der Übersetzung bzw. freien Bearbeitung von Libretti zu Werken Jacques Offenbachs, Hervés (eigentlich Florimond Ronger) und Charles Lecocqs prägte Genée wesentlich deren Rezeption im deutschsprachigen Raum. Insgesamt schrieb Genée über 60 Libretti zu Operetten und verwandten Gattungen, nicht nur zur Vertonung für sich selbst, sondern auch für zahlreiche andere Komponisten. Von Zell und Genée stammen die Bücher zu den bedeutendsten Wiener Operetten der sogenannten „Goldenen Ära“, beispielsweise zu Franz von Suppès „Fatinitza“ (1876) und „Boccaccio“ (1879), zu Carl Millöckers „Der Bettelstudent“ (1882) und „Gasparone“ (1884), zu Johann Strauss’„Cagliostro in Wien“ (1875), „Der lustige Krieg“ (1881), „Eine Nacht in Venedig“ (1883). Das Buch zu Strauss’ Operette „Die Fledermaus“ verfasste Genée nach Carl Haffners  (eigentlich Carl Wilhelm Schlachter) deutscher Übertragung der Komödie „Le Révelion“ von Henry Meilhac und Ludovic Halévy.

     

    Bedeutung für Wien und die Wiener Operette

    Als der in Norddeutschland geborene Richard Genée nach Wien kam, war er immerhin schon 45 Jahre alt. Dennoch gelang es ihm vorzüglich das Wienerische in der Musik jener Tage zu erkennen, zu spüren und zu Melodien voll Charme zu verwerten. Wenngleich Genées eigene Bühnenwerke über den deutschsprachigen Raum hinaus nur wenig zur Aufführung gelangten und heute größtenteils vergessen sind, so errang er in der Zusammenarbeit mit Suppè, Millöcker, Strauss und anderen Komponisten Weltgeltung. Seine eigene tonschöpferische Tätigkeit, die praktische Bühnenerfahrung und eine glückliche Einfühlungsgabe befähigten ihn über die gewöhnliche Leistung eines Librettisten hinaus den Komponisten auch in Fragen der dramaturgischen Gesamtgestaltung, selbst in Einzelheiten der Vertonung, entscheidend zu beraten, ja tätig zu unterstützen, wie die Kooperation mit Strauss eindrucksvoll zeigt. Die Stadt Wien ehrte Richard Genée mit der Benennung einer Verkehrsfläche, der Genéegasse im 13. Wiener Gemeindebezirk (Gemeinderatsbeschluss vom 20. September 1951).

     

     

    Literatur (Auswahl)

     

    .) Pierre Genée: Richard Genée und die Wiener Operette. 2. Auflage, Wien, Löcker 2015.

    .) Marion Linhardt: (Franz Friedrich) Richard Genée. In: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Personenteil, Band 7, Bärenreiter, Kassel 2002.

    .) Norbert Rubey: Nötigung zur Operette – Aller Anfang ist schwer! In: „Johann Strauß. Unter Donner und Blitz“, Begleitbuch und Katalog zur 251. Sonderausstellung im Historischen Museum der Stadt Wien, Karlsplatz, 6. Mai – 26. September 1999, S. 257-265.

    .) Franz Stieger: Opernlexikon. Hans Schneider, Tutzing 1975 ff.

    .) Fritz Racek: Revisionsbericht zur Operette „Die Fledermaus“. In: Johann Strauss (Sohn) Gesamtausgabe, Serie 2, Band 3, Wien, Doblinger / Universal Edition 1974.